Bundesverfassungsgericht erklärt Schenkungs- und Erbschaftssteuer für verfassungswidrig – Unternehmensnachfolge jetzt regeln?

12.03.2015 | Helmut Cramer – Fachkanzlei für Vermögensnachfolge in Münster und Coesfeld

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 17.12.2014 Teile des Erbschaftssteuergesetzes wegen der weitgehenden Bevorzugung von Betriebsvermögen gegenüber Privatvermögen für verfassungswidrig erklärt.

Beanstandet wurde vor allem, dass im Rahmen der Übertragung von Betrieben nicht produktives Vermögen wie vermietete Immobilien, Wertpapiere sowie Forderungen und Bankguthaben in großem Umfang erbschaftssteuerfrei übertragen werden können. Würde sich vergleichbares Vermögen im Privatvermögen befinden, wäre dessen Übertragung steuerpflichtig.

Übergangsfristen

Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, die vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Mängel bis spätestens den 30.6.2016 zu beheben.

Bis zu einer Neuregelung ist das alte Erbschaftsteuergesetz weiter anzuwenden. Lediglich eine exzessive Ausnutzung der als verfassungswidrig angesehenen Regelungen ist verboten.

Reformmodelle

Das Bundesverfassungsgericht hat es dem Gesetzgeber freigestellt, wie er das Urteil umsetzt.

Der Königsweg wäre eine völlige Neukonzeption und Vereinfachung des Erbschaftssteuerrechts: Die Einführung durchgängig niedriger Erbschaftssteuersätze ohne Ausnahmetatbestände für Betriebsvermögen und eine Reduzierung der hohen persönlichen Freibeträge. Schlechter gestellt würden hierdurch vor allem Inhaber von Betriebsvermögen und ggf. Ehegatten und Kinder, die derzeit in den Genuss hoher persönlicher Freibeträge kommen.

Wesentlich höhere Chancen auf eine Umsetzung besitzt jedoch das Reparaturmodell, das die vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Mängel nur punktuell repariert. Nachfolgend soll daher lediglich aufgezeigt werden, welche Verschärfungen mindestens zu erwarten sind.
Weitere Verschärfungen oder eine völlige Neukonzeption des Erbschaftsteuerrechts können derzeit aber nicht ausgeschlossen werden. Der Inhalt der Reform ist jetzt Sache der politischen Parteien.

Verschonungsabschlag

Nach dem aktuellen Erbschaftssteuerrecht können die Vererbung bzw. Schenkung von Betrieben weitgehend von der Erbschaftssteuer bzw. Schenkungssteuer befreit werden, wenn das Betriebsvermögen überwiegend aus produktiven und nicht aus unproduktiven Verwaltungsvermögen besteht. Zu dem nicht schützenswerten Verwaltungsvermögen gehören u.a. vermietete Immobilien, Wertpapiere sowie Forderungen und Bankguthaben, soweit Letztere eine für den Betrieb erforderliche „Eigenkapitalquote“ übersteigen. Im Einzelnen:

Beträgt die Quote des schädlichen Verwaltungsvermögens zwischen 10 % und 50 %, wird die Übertragung zu 85 % freigestellt (Regelverschonung). Da zusätzlich zu der Verschonung von 85% noch eine Freigrenze von 150.000,- Euro gilt, hat dies zur Folge, dass selbst bei der Regelverschonung Betriebe mit einem Wert bis zu 1 Mio. Euro von der Erbschaftssteuer komplett freigestellt werden können.

Beträgt das schädliche Verwaltungsvermögen nicht mehr als 10 % vom Unternehmenswert, wird die Übertragung des Betriebes zu 100 % von der Erbschaftsteuer befreit (Optionsverschonung).

Besteht das Betriebsvermögen dagegen zu mehr als 50 % aus unproduktiven Verwaltungsvermögen, entfällt die Verschonung in Höhe von 85 % komplett, d.h. die Übertragung des Betriebes unterliegt zu 100 % der Steuer (Alles-oder-nichts-Prinzip).

Große Betriebe

Diese weitgehende Erbschaftssteuerfreiheit bedarf laut Verfassungsgericht bei großen Betrieben einer besonderen Rechtfertigung. Hier wird in Zukunft, falls das o.g. Verschonungssystem im Reformgesetz erhalten bleiben sollte, zusätzlich eine individuelle Bedürfnisprüfung im Einzelfall vorgeschrieben. Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber die Förderungsvoraussetzungen für große Betriebe in Zukunft definiert. Diese sind zurzeit Gegenstand der politischen Diskussionen.

Kleinere und mittlere Betriebe

Bei kleinen und mittleren (Familien-)Unternehmen hat das Bundesverfassungsgericht die o.g. Verschonungsregelungen grundsätzlich anerkannt. Es soll in Zukunft jedoch nicht mehr möglich sein, im Windschatten des Betriebsvermögens bis zu 50 % schädliches Verwaltungsvermögen steuerfrei übertragen zu können. Es ist zu erwarten, dass nur noch ein deutlich geringerer Teil des Verwaltungsvermögens von der Freistellung erfasst wird. Somit werden vor allem Betriebe mit eine hohen Quote von nicht produktiven Verwaltungsvermögen von der anstehenden Neuregelung belastet.

Lohnsummenregelung

Weitere Voraussetzung für die Verschonung von Betriebsvermögen ist derzeit, dass der Betrieb die Lohnsummen zum Zeitpunkt der Vererbung bzw. vorweggenommenen Erbfolge des Betriebes in den nächsten 5 bzw. 7 Jahren weitgehend unverändert beibehält. Andernfalls wird die Freistellung anteilig gekürzt. Nach aktuellem Recht sind jedoch Kleinbetriebe bis 20 Mitarbeiter von dieser Lohnsummenkontrolle ausgenommen. Diese Ausnahme wurde vom Bundesverfassungsgericht als gleichheitswidrig beanstandet.

Handlungsbedarf

Bei vielen Unternehmen werden die anstehenden gesetzlichen Neuregelungen zur erbschaftssteuerlichen Mehrbelastungen führen. Wer in einem überschaubaren Zeitraum noch seinen Betrieb übertragen bzw. Kinder beteiligen möchte, sollte dieses jetzt tun. Denn günstiger wird es künftig sicherlich nicht werden, so H.-U. Viskorf, Vizepräsident des Bundesfinanzhofes.

Nach den Verlautbarungen aus der Finanzverwaltung wird eine gesetzliche Neuregelung bereits zu Ende 2015 angestrebt. Da das neue Gesetz – bis auf exzessive Ausnutzen der verfassungswidrigen Regelungen – nicht rückwirkend gilt, ist aktuell noch ein enges Zeitfenster für die Regelung von Unternehmensnachfolgen gegeben.

Die Kanzlei Cramer Rechtsanwalt & Steuerberater begleitet Sie bei der Unternehmens- und Vermögensnachfolge und berät umfassend auf den Gebieten der Erbschafts- und Einkommenssteuer sowie des Gesellschafts- und Erbrechts.

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